C.H. Beck Wissen, Originalausgabe
Verlag C.H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71114-5, 128 Seiten, Broschur, Format 16 x 12 cm,
€ 9,95 (D) / € 10,30 (A)

Leidenschaftlicher, unterhaltsamer, informierter und kompakter wird man die mehr als 3000-jährige
Kulturgeschichte des Weins und die mit ihr verbundenen Innovationen wohl kaum zu Papier bringen können:
Der Redakteur bei der FAZ und Lehrbeauftragte für die Geschichte des Weinbaus und Weinhandels an der
Hochschule Geisenheim Daniel Deckers erinnert in seiner 128 Seiten kurzen Weingeschichte nicht nur an
die Herkunft der traubentragenden Weinrebe vitis vinifera aus der Pflanzengattung vitis, den ältesten
archäobotanischen und -chemischen Nachweis von Traubenkernen und eingetrockneten Flüssigkeitsresten
am Rand und am Boden von Aufbewahrungsgefäßen in der Region des Taurus- und des Zagros-Gebirges, an
die hohen Anforderungen der Weinrebe an Boden, Klima, Vegetationsperioden, Winterruhe und an die
Notwendigkeit, sie zu beschneiden, sondern erzählt auch, dass Pharao Scorpion I. im Jahr 3150 v. Chr. mehr
als 4000 Liter Wein mit ins Grab bekommen hat und sich Pharao Tutenchamun bei seinem Tod im Jahr 1330
v. Chr. mit zwei Dutzend Amphoren begnügen musste. „In Ägypten war die zum Weinbau geeignete
Wildrebe nicht heimisch. Gleichwohl lernten Pharaonen, Priester und Angehörige der Oberschicht schnell,
den Wein zu schätzen. Im Vergleich zum allgegenwärtigen Gerstenbier war er ungleich alkoholischer und
sicher auch schmackhafter. Die ersten Weine erreichten Ägypten wohl auf dem Seeweg. Sie stammten aus
der Levante, wohin sich der Weinbau aus dem kühlen Bergland im Norden wohl als erstes ausgebreitet hatte.
In Ägypten selbst stand der Weinbau […] spätestens um die Wende vom vierten zum dritten Jahrtausend v.
Chr. in voller Blüte […]. Hieroglyphen, Wandmalereien, tönerne Weinetiketten, große und kleine Gefäße –
sie alle sprechen eine deutliche Sprache: Ägypter, die es sich leisten konnten, tranken Wein, der aus Trauben
gekeltert war“ (Daniel Deckers S. 8).

Deckers erwähnt in seinem Kapitel über die Weinkultur in der Antike weiter, dass der um 1750 v. Chr. in
Babylon entstandene Kodex Hammurabi Priesterinnen vom Weinhandel ausschließt und ihnen vorschreibt,
Wein nur im Tempel zu trinken. Nach dem Untergang der Babylonier förderten die Assyrer den Weinanbau.
Die Hethiter kannten neben rotem auch weißen Wein. Zwischen dem Wein als Alltagsgetränk und dem Wein
als Medium der Begegnung mit dem Göttlichen lagen viele Deutungs- und Bedeutungsebenen: „In
vergorenem Zustand und fast immer mit Wasser vermischt, ist er das Alltagsgetränk schlechthin; besonders
gute, weil ausnehmend süße oder aromatische Weine dienen denen, die es sich leisten können, als Genussund
Rauschmittel; zugleich markiert er gesellschaftliche Unterschiede und ist daher auch als
Distinktionsmedium nützlich; sodann erfüllt Wein in allen Religionen kultische Funktionen; schließlich dient
er dem Menschen auch als Heilmittel, sei es als Lösungsmittel für andere Therapeutika, sei es als
Stärkungsmittel, sei es als pharmakon, als Medizin selbst. Ebenso unentbehrlich wie Wein waren in der
Antike nur noch Getreide und Öl“ (Daniel Deckers S. 11). Trotz der Hochschätzung des Weins in der Bibel
(„Der Wein erfreut des Menschen Herz“, Psalm 104, 15) und Erzählungen wie denen von Josua und Kaleb,
die nach ihrem 40-tägigen Erkundungsgang im gelobten Land eine Rebe mit einer Weintraube mitbringen,
die sie zu zweit auf einer Stange tragen (4. Mose 13,23), von dem trunken gemachten Lot, der auf der Flucht
aus dem untergehenden Sodom und Gomorra mit seinen zwei Töchtern Kinder zeugt (1. Mose 19, 34–38)
und von Judith und Holofernes (Judith 13,15) liegt „die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Weinbaus im
biblischen Israel […] bis heute weitgehend im Dunkeln“ (Daniel Deckers S. 14).

Genaueres und mehr weiß man über den Weinanbau und die Weinkultur der Römer: „Cato war Zeuge des
Niedergangs der altrömisch-kleinbäuerlichen Landwirtschaft […]. Bei seinem Tod im Jahr 149 v. Chr.“
hinterließ er „präzise Angaben darüber, wie die Weinlese vorbereitet werden und in welchen Phasen eine
Lese vonstatten gehen muss. Fast beiläufig wird erwähnt, dass nicht jeder Boden geeignet sei, um Weinbau
zu treiben. Zudem gediehen Rebsorten in unterschiedlichen Böden unterschiedlich gut und ergäben
verschiedene Weine. Allen Rebsorten gemeinsam war indes die Erziehung. Wenn Sie nicht direkt an Bäumen
rankten, wurden sie an Stangen nach Art einer Pergola gezogen […]. Plinius´ Aufmerksamkeit war durch den
Umstand gefesselt, dass mediterrane Rebsorten in dem kühleren Klima des Rhônetals und am Atlantik nicht
richtig gedeihen wollten […]. Insgesamt kannte Plinius mehr als 80 edle Rebsorten“ (Daniel Deckers S. 24
ff.).

Im zweiten Kapitel referiert Deckers, wie der Weinbau mit den Römern unter anderem an die Mosel und an
den Rhein kam und dass die Rebkultur im frühen Mittelalter mit der Christianisierung auch Franken und den
Neckarraum erreicht hat. „Ob Ordensleute, Stiftsherren oder einfache Geistliche, sie alle waren zumindest
für die tägliche Feier des Gottesdienstes auf kontinuierlichen Nachschub erheblicher Mengen an Wein
angewiesen. Noch war der Wein ein Grundnahrungsmittel – der Ordensgründer Benedikt (480 – 542) hatte
für jeden Klosterinsassen eine hemina oder 0,27 Liter Wein am Tag vorgesehen –, und noch war der
Laienkelch gebräuchlich […]. Schenkung oder Belehnung mit Weinbergen diente somit der Verstetigung des
Zustroms von […] und der Grundversorgung mit Wein. Weinbergbesitz diente auch“ der „materiellen
Absicherung […]. Nachgerade legendär […] ist die Art, wie der Zisterzienserorden den mittelalterlichen
Weinbau und -handel revolutionierte. Die Mutterabtei Cîteaux wurde zum Schrittmacher des
Qualitätsweinbaus in Burgund – ein Vermächtnis, das unter anderem in der Lage ›Clos de Vougeot‹ fortwirkt.
Das Gegenstück zu Cîteaux in Deutschland war die 1134 im Rheingau gegründete Zisterzienserabtei
Eberbach mit ihrer Monopollage ›Steinberg‹“ (Daniel Deckers S. 38). In Köln wurde Rheinwein, in Ulm
Neckarwein und in Frankfurt Wein aus dem Elsass und aus Franken gehandelt. 1487 wurde in Rothenburg ob
der Tauber die erste umfassende »Ordnung und Satzung über den Wein« verabschiedet, die „Regeln für die
Kellerbehandlung des Weines bis zur Füllung – einschließlich der Festlegung der Menge Schwefels, die zum
Ausbrennen der Fässer verwendet werden sollte“, enthielt. „Rechtsgeschichtlich betrachtet standen Weinbau
und Weinhandel am Beginn der reichseinheitlichen Rechtssetzung“ (Daniel Deckers S. 50 f.).

Im dritten Kapitel wird daran erinnert, dass die im Zuge der Reformation in Württemberg aus ehemaligen
Klöstern herausgewachsenen Klosterschulen Hauswein an ihre Zöglinge ausgeschenkt haben. So dürften
Johannes Kepler, Friedrich Hölderlin, David Friedrich Strauß, Wilhelm Hauff und Justines Kerner in
Maulbronn „von dem heute legendären Wein aus dem ›Eilfingerberg‹ […] gekostet haben“ (Daniel Deckers
S. 54). Ab wohl 1435 ist der Name Riesling dokumentiert, der als Rheingau-Riesling im 19. Jahrhundert als
einer der besten und teuersten Weißweine der Welt gegolten hat. Beim Wiener Kongress wurde nicht nur
getanzt, sondern auch Rheinwein getrunken. Am Ende des Jahrhunderts hat man über Rebsorten, Klonen,
Kreuzungszüchtungen, alte und neue Rebschädlinge und die richtige Behandlung der Weine im Keller
nachgedacht. Nach den beiden Weltkriegen gehören die im „Verband der Pädikatsweingüter“ (VDP)
zusammengeschlossenen Weingüter zu den besten. „Fast überall stehen Weine aus ›autochthonen‹ Rebsorten
im Wettbewerb mit ›internationalen‹ Weinen. Mehr denn je sind überall auf der Welt Weine jeder Art und
jeden Stils zu finden, von handwerklich bis zur industriellen erzeugten, von orange und vin naturel bis zu
den traditionellen Spitzengewächsen aus Frankreich und Deutschland. Gleichwohl sind die Zeiten längst
vorbei, in denen für die teuersten Bordeaux- und Burgunderweine dieselben Preise bezahlt wurden wie für
die Ausleseweine von Rhein und Mosel. Zahlreiche französische Crus, aber auch italienische Rotweine wie
die Super-Tuscans sind längst zu Kapitalanlagen und Spekulationsobjekten geworden – Fälschungen
eingeschlossen.

Alles in allem aber bieten Weine auf allen Qualitätsstufen vom einfachen Zechwein bis zu den
renommiertesten Crus, einen größeren Genuss denn je in der jahrtausendealten Geschichte des
faszinierendsten Getränkes in Gottes Schöpfung“ (Daniel Deckers S. 125).

ham, 12. Oktober 2017
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