Publikation zur Eröffnung der Ausstellungsräume der Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben
Hrsg. von der Grafikstiftung Neo Rauch mit Texten von Rudij Bergmann, einem Gespräch
zwischen Wolfgang Büscher und Neo Rauch und einem Vorwort von Kerstin Wahala
Grafikstiftung Neo Rauch / Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, 2012, ISBN 978-3-7757-3310-6, 200
S.,
zahlreiche s/w- und Farbabbildungen, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 28 x 20,5
cm, € 29,80
Die von Neo Rauch und seinem Galeristen Gerd Harry Lybke ins Leben gerufene Grafikstifung
Neo Rauch umfasst derzeit je ein Exemplar aller Radierungen, Lithografien, Lichtdrucke,
Siebdrucke und Gicléedrucke, die der Künstler zwischen 1993 und 2012 geschaffen hat. Sie wird
um je ein Exemplar jeder weiterer neu entstehenden Grafik erweitert werden. Aschersleben, in der
Rauch nach dem frühen Tod seiner Eltern bei seinen Großeltern Familie und Heimat fand, stellt
die notwendigen Museumsräume im Bestehornpark zur Verfügung. Zwar nimmt keines der bisher
vorliegenden grafischen Blätter bewusst Bezug auf den Ort von Rauchs Kindheit und Jugend.
Aber Rauch weiß zugleich, „dass diese Region, die sich vom Harzvorland über Aschersleben bis
nach Leipzig erstreckt, der Motivlieferant schlechthin ist für alles, was ich tue – auf der Leinwand,
auf dem Lithostein, auf der Kupferplatte oder auf dem Papier. Dieser Landstrich ist es einfach, der
mich mit all den Dingen versorgt, die man auf meinen Bildern wiederfindet. Und es sind ja nicht
so sehr die Dinge, es sind vielleicht eher Momente, Zustände, die sich kaum präzise benennen
lassen. Es sind ganz bestimmte Formabwicklungen, die in der Landschaft angelegt sind, in
Horizontlinien, in architektonischen Eigenheiten. In Lichtverhältnissen … Im Grunde genommen
umkreise ich … einen Begriff, … den man kurz und gut Heimat nennen könnte… Es ist nicht
nichts. Es ist alles… Heimat – das ist doch nicht Plüsch und Plum. Das ist nicht Blut und Boden.
Das ist einfach Herkunft, das sind Gerüche, Klänge, Farben… Das ist natürlich Heinrich Heine –
man könnte viele Namen nennen… Ich erlebe in meiner inneren Atomstruktur die Einwirkung
zweier Magnetpole, die in zweierlei Richtung zerren. Da ist zum einen das Programm der
Multipolarität, des kosmopolitischen Daseins, des freischwingenden Aufgehobenseins in den
globalen Verhältnissen, also das Programm desjenigen, der sich überall einmontieren könnte,
wenn es darauf ankäme… Und etwas davon habe ich ja mittlerweile auch an mir – aber eben nicht
in mir. Und da komme ich auf den anderen Pol zusprechen, nach dem sich meine ganze
feinstoffliche Struktur zunehmend und konsequent auszurichten beginnt… Ich merke, dass die
Rückbesinnung auf das Wesentliche und Eigentliche mich immer stärker leitet, dass der Ort
meiner Kindheit und Jugend bestimmte Emotionswellen in meine Richtung sendet, die meine
Empfangsstation bereitwillig aufnimmt. Diese Station ist natürlich komplett auf emotionale
Ladungen gestimmt. Sie ist nicht empfangsbereit für Zuströmungen der Ratio. Die Ratio würde
wohl eher den freischwingenden Aufenthalt im globalen Verfügungsraum empfehlen. Aber die
Zellstruktur sagt; Lass dich einsinken in die Verhältnisse, die dir vertraut sind. Reaktiviere
verloren geglaubte Kontakte, sobald du das Gefühl hast, sie sind von Bedeutung für dich.
Versuche, die Werthaltigkeit der Böden, die du dann berührst, zu potenzieren. Mit anderen
Worten, nicht das Enge, das Beschränkte, sondern das Nahe und das Nährende aufzusuchen. Und
ihm einen Wertesprung zu vermitteln durch Beitritt, Beigabe und Einspeisung. Das scheint mir das
Gebot der Stunde zu sein“ (Neo Rauch). In einer Zeit, in der nicht nur Müllcontainer und Autos,
sondern auch Bücherberge und Menschen brennen, muss Kunst nach der Auffassung von Neo
Rauch existenziell werden. „Wenn ich mich in den Schutzraum zurückziehen muss, weil es gar
nicht mehr anders geht, dann möchte ich ganz bestimmte elementare Dinge um mich wissen. Dann
möchte ich nicht die Atmosphäre einer Baracke oder eines Bunkers oder einer neon- und
technodurchdrängten Vorhalle um mich haben, weil das alles schon draußen ist, sondern dann
brauche ich ein paar Dinge, die mir Halt geben. Das ist es, was ich von Kunst erwarte. Ich erwarte
nicht die Widerspiegelung des Außenraumes in plakativster Form, sondern ich erwarte eine
Hervorwölbung aus der Vielzahl des Möglichen, die einen Wärmepunkt an mich heranführt. Und
es hat nichts damit zu tun, ob ich diese emotionale Zuspitzung, die man Kunst nennen kann,
verstehe oder nicht… Entscheidend ist, ob ihr Sinn auf meinen Sinn wirkt, ob sie sinnhaft ist oder
nicht. …Ich meine, Kunst muss … durch ihre Sinnhaftigkeit, also durch ihr pures Vorhandensein,
uns eine Vorstellung davon mitteilen, wozu der Mensch in der Lage ist, welche Werte er in sich
trägt, was er an naturereignishafter Sinnen- und Sinnwirklichkeit hervorzubringen und zu
vermitteln vermag …“ (Neo Rauch).
Der zugleich als Werksverzeichnis der Grafiken Rauchs fungierende Band weist als erste Arbeit
die 1993 als Jahresgabe des Förderkreises der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst
entstandene einfarbige Lithografie ‚Bote‘ aus, die in einer Auflage von 125 gedruckt worden ist.
Die letzte Arbeit ist die in einer Auflage von 35 plus e.a. aufgelegte vierfarbige Kreide- und
Tuschelithografie aus dem Jahr 2012 ‚Der Standort‘.
(ham)

Download: Neo Rauch – Das grafische Werk  1993 bis 2012

 

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