Herausgegeben von Nino Mier mit Texten von Gwen Allen, Hannah Eckstein und Kay Heymer

Nino Mier Gallery, Los Angeles / Kerber Verlag Bielefeld . Berlin, KERBER ART 2019, 

ISBN 978-3-7356-0593-1, 320 Seiten, 120 farbige Abbildungen, Hardcover in Leinen, gebunden, 

Format 34,5 x 24,5 cm, € 78,00 (D) / 95,78 CHF

André Butzer hat nach seinem Wechsel von der Grundklasse / Eingangsstufe an der Kunstakademie Hamburg an die Akademie Isotrop im Jahr 1996 und einer ersten Ausstellungsbeteiligungen im Künstlerhaus Stuttgart im selben Jahr (vergleiche dazu auch https://www.youtube.com/watch?v=tORb6vyfoZ0) von außen betrachtet einen kontinuierlichen Aufstieg im Kunstsystem erlebt. Seither führt er virtuos vor, wie Künstlerfreunde in von ihm initiierten Gruppenausstellungen wie den Ausstellungen ›Kommando Pfannkuchen‹, 2004, Los Angeles,  ›Kommando Friedrich Hölderlin‹, 2007, Berlin und ›Kommando Tilman Riemenschneider. Europa 2008‹, Stuttgart eingebunden, an seiner Arbeit interessierte Galerien, Museen und Sammlungen in Stuttgart, Wien, Berlin, München Santa Monica, Innsbruck, Mailand, New York, Los Angeles, Nürnberg, London, Tokio, Madrid, Dubai, Chicago, Braga, St. Moritz, Graz, Paris, Nordheim, Steckborn, Hokutu und Peking mit aktuellen Arbeiten versorgt und in zwanzig Jahren mehr als 110 Einzelausstellungen und eine Vielzahl von Katalogen auf den Weg gebracht werden können. 2007 wurde eine erstes Aquarell von ihm bei Christie´s versteigert. Heute sind Arbeiten von ihm auf  allen wichtigen Auktionen präsent.

Der jetzt von Nino Mier herausgegebene, bestens ausgestattet, gedruckte und gestaltete Zeichnungskatalog bringt 139 den Werkgruppen ›Science-Fiction-Expressionismus‹, ›Freie Abstraktion‹ und ›N-Bilder‹ zuzuordnende Arbeiten auf Papier aus den Jahren 2001 bis 2019 aus mit eine Serie von 20 Aquarellen zusammen, die „auf den ersten Blick […] weder eine Verwandtschaft zu seinen Figurenbildern […] noch zu seinen abstrakten Gemälden zu besitzen scheinen“ (Hannah Eckstein, Kleider, Kragen, Farben. S. 11). Das zu dieser Werkgruppe gehörende Großformat, das 2018 in der von Philipp Haager kuratierten Gruppenschau „verlassen auf mein Herz“ in der Galerie im Künstlerhaus Leonberg zu sehen war, hat der Autor als frisch, frech und frei empfunden (vergleiche dazu die Aufnahmen 6/17 und 14/17 aus „verlassen auf mein Herz“  in der Bildergalerie „Unsere Ausstellungen 2017/2018 im Rückblick: http://galerie-im-kuenstlerhaus.de/archiv-2/). Hannah Eckstein sieht diese in lasierendem Aquarell und flüssigem Acryl gemalten Werke in Butzers utopischer Projektion NASAHEIM verortet und mit dem Kolorit des Kleids der Frau verwandt, die nach Butzers Privatmythologie die Kraft verkörpert, „die die Diskrepanz zwischen der weltlichen Existenz und den himmlischen Sphären überwindet. Sie ist es, die zwischen der irdischen Welt und dem in NASAHEIM befindlichen ›N-Haus‹, jenem kosmischen Ort, an dem ›die Farben aufbewahrt werden‹, vermitteln kann. Somit ist sie auch die Einzige, die die Farben ins Diesseits tragen kann. Durch die Bildfigur der Frau im Irdischen angekommen, schweben die Farbtupfer nahezu frei auf der Bildfläche und werden zu einer Malerei, die den Zwiespalt zwischen Gut und Böse, Schöpfung und Zerstörung, Leben und Tod für einen kurzen, wenn auch flüchtigen Augenblick überwindet, indem sie ihn offenhält“ (Hannah Eckstein a. a. O.).

Dass Butzer seine Nasaheim-Narration in der Kunstwelt streuen, verbreiten und, wie im Kunstsystem üblich, gefordert und erwünscht, zugleich unterstreichen kann, dass seine N-Bilder keine narrative Strukturen haben, er „nicht erzählen, sondern empfinden, nicht vorführen, sondern vermitteln“ will und dass seine „N-Bilder […] weder Thema, noch Motiv, noch Begründung“ brauchen und „ihre eigene Größe, ihre eigene Norm und ihr eigener Maßstab“ besitzen (https://www.lempertz.com/en/catalogues/artist-index/detail/butzer-andre.html), zeigt, dass er auch über Bande kommunizieren kann. Dass er sein Metier als Maler und Zeichner aus dem Effeff beherrscht, bezweifelt zwischenzeitlich niemand mehr.

Nach Kay Heymer ist ein „Bild […] als Kunstwerk überzeugend, wenn es ein Gefühl oder eine geistige  Dringlichkeit vermitteln kann, die seine kulturell determinierten Enstehungsbedingungen überwindet und beim Betrachter eine gleichsam  ⟩unschuldige⟨, primäre Erfahrung auslöst […]. André Butzer malt und zeichnet seit Mitte der 1990er. Seine Zeichnungen lösen solch unverstellte Reaktionen aus. Gleichzeitig sind sie eng ins Beziehungsgeflecht der ihm vorangegangenen Malereigeschichte eingebunden. Seine Motive und rhetorische Mittel verweisen auf so unterschiedliche Künstler wie Matisse, Mondrian, Jorn, Baselitz, Albert Oehlen, Förg, auf Art-Brut-Künstler wie Franz Kernbeis und zahlreiche andere. Entscheidend aber bleibt, wie schon bei Cézanne, das spezifische Temperament des Künstlers. Mich beeindruckt die bedachte Zärtlichkeit der Ausführung von Butzers Werken: eine außergewöhnliche, für unsere zynische Zeit ebenso  ana-chronistische wie notwendige, weil positive und optimistische Haltung. Was auf den Zeichnungen zu sehen ist, muss nicht kommentiert werden. Das >Wie< zählt. Und das ist beachtlich“ ( Kay Heymer, Try a little tenderness. S. 13).

Beeindruckend ist weiter, dass Butzers Kleinformate wie die Zeichnung Untitled, 2017, Crayon on paper,14.6 x 20.3 cm, gerahmt 29.8 x 36.8 cm (vergleiche dazu https://miergallery.com/wp-content/uploads/2018/03/AB17.034.jpg), dieselbe Präsenz aufweisen wie Mittelformate wie Untitled, 2005, Pencil and wax crayon on paper, 48 x 36 cm, AB05.004 (vergleiche dazu  https://miergallery.com/wp-content/uploads/2017/07/AB05.004.jpg) und Großformate wie  Untitled (Frau), 2017, watercolor on paper, 229.2 x 121.9 cm, AB17.024 (vergleiche dazu https://miergallery.com/wp-content/uploads/2017/07/AB17.024scale.jpg). 

Nach seinem Umzug nach Altadena, Kalifornien hat sich die Farbigkeit von Butzers Zeichnungen verändert. So erscheinen die blau- und gelbgrünen Farbflecken auf der Zeichnung Ohne Titel (Altadena Donauquelle), 2019, Acryl, Bleistift und Buntstift auf Papier, 27,9 x 35,5 cm gedämpfter. Diese beiden Grüns sind eher von den Wiesen, Auen und Wäldern bei Furtwangen und Donaueschingen im Schwarzwald inspiriert als von der Sonne Kaliforniens. Das Rot auf dem Kleid der Frau, die auf der Zeichnung vor dem N-Haus in NASAHEIMsteht, könnte an das bei Schlachtfesten im Schwäbischen in Eimern geschlagene Blut erinnern und dem ins Bräunliche stechende Rot einer frischen Schwarzwurst geschuldet sein.

ham, 22. Mai 2019

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller