Patmos Verlag, Ostfildern, 2019, ISBN 978-3-8436-1139-8, 213 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Format 22,5 x 15,5 cm, € 24,00 (D) / € 24.70 (A)

Seit dem 8. November 2016 vergeht kaum ein Tag, an dem Donald Trump nicht die Schlagzeilen der internationalen Presse bestimmt. So titelt die Süddeutsche Zeitung nach den Massenerschießungen von Texas und Ohio am 6. August 2019: „Trump will Todesstrafe für Attentäter. Nach den Massakern in Texas und Ohio fordert der US-Präsident härteres Durchgreifen bei Amokläufern. Schärfere Waffengesetze, wie sie die Demokraten verlangen, lehnt er jedoch weiterhin ab“ (SZ 75. Jahrgang / 32. Woche / Nr. 180 Seite 1). Während seines Wahlkampfs hatte er noch getönt: „I could stand in the middle of Fifth Avenue and shoot somebody and I wouldn´t loose any voters“ (The Guardian, 24. Januar 2016, zitiert nach Andreas G. Weiß Anmerkung 65 S. 204), aber auch: „Ich werde einer der größten Präsidenten sein, die Gott jemals geschaffen hat!“ (zitiert nach Andreas G. Weiß S.13). Wie geht das zusammen? Steht der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika über dem Gesetz? Sieht er sich als etwas Besonderes oder gar als von Gott auserwählt? Hat er deshalb bei seiner Vereidigung seine Hand auf zwei Bibeln gelegt und seinen Schwur mit der Formel »So wahr mir Gott helfe« bekräftigt (vergleiche dazu https://www.kirche-und-leben.de/artikel/papst-mahnt-trump-die-armen-und-moralische-werte-zu-achten/)? Und: Versteht er sich nach wie vor als Christ?

Die Frage ist nach dem in Salzburg lebenden katholischen Theologen, Religionswissenschaftler und Mitglied der »American Academy of Religion« (AAR) Andreas G. Weiß schwer zu beantworten. Weiß weist darauf hin, dass Trumps persönlicher Lebenswandel für viele Beobachter in den USA als ein Buch mit sieben Siegeln gilt und viele sich aufgrund seiner „moralischen Fehltritte und äußerst diskriminierender, mitunter verachtender Entgleisungen in verbaler wie auch gestikulierender Form gar nicht mit den Tiefen seiner Person auseinandersetzen […]. Eine Ausnahme […] ist interessanterweise […] Trumps Verhältnis zur Religion […]. Trumps persönliche Beziehung zu Gott und zur Religion steht immer wieder im Zentrum von Berichterstattungen und spätestens seit […] sich Donald Trump bei Wahlkampfveranstaltungen mit seiner Bibel in Szene gesetzt hat, tritt die Frage nach seinem persönlichen Glauben immer wieder zutage“ (Andreas G. Weiß S. 60 f.). Im konservativen Süden und insbesondere im Gebiet des ›Bible Belts‹ gehört die Bibel zur Grundausrüstung der freikirchlichen Christusgläubigen. „Ihre Identität wird von einer starken Orientierung an biblischen Texten gespeist, was auch ihre Erwartungshaltung gegenüber anderen Gläubigen auf deren Bibelfestigkeit hin zentriert […]. In den USA hängen von der Religiosität der öffentlichen Amtsträger zu einem großen Teil ihre Glaubwürdigkeit und damit die Gunst der Wähler ab […]. Gottgläubigkeit schlägt sich in ›God´s Own Country‹ vielerorts in blanken Zahlen nieder, nämlich in den Wählerstimmen und daraus abgeleitet in der politischen Macht“ (Andreas G. Weiß S. 63).

Trump hat nach Weiß zwar während seines Wahlkampfs verschiedentlich beteuert, dass er ein gläubiger Christ sei. Er wurde als Sohn einer presbyterianischen Familie geboren, in der im weiteren Sinn calvinistisch inspirierten ›Marble Collegiate Church‹ im Süden von Manhattan christlich sozialisiert und sicher auch von den das positive Denken transportierenden Predigten des damaligen Pastors Norman Vincent Peale (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Norman_Vincent_Peale) beeinflusst: Ob sich im Leben Erfolg einstellt oder nicht, hängt nach Peales Auffassung entscheidend von der persönlichen Haltung ab. Aber schon die Frage, ob Peales ›Gospel of Prosperity‹ Trumps späteres Leben als Unternehmer beeinflusst hat oder nicht, bleibt für Weiß offen. 

Der emeritierte Ethiker Stanley Hauerwas von der renommierten Duke University urteilt strikter und eindeutiger. Nach Hauerwas stehen Trumps religiöse Überzeugungen nicht mehr auf dem Fundament des christlichen Glaubens. „›Trump geht davon aus, dass Amerika mit genug Selbstbewusstsein alles schaffen kann. Ja, Amerika kann sich in seiner Sicht sogar selbst erlösen‹. Damit würde die ›Nation Under God‹ […] selbst die Stelle Gottes einnehmen […]. ›Ich würde sicherlich niemals bezweifeln, dass sich Trump selbst für einen Christen hält‹. Aber die christliche Zukunftshoffnung […] wird bei Trumps politischer Religion überaus irdisch und Amerika als dessen ›Kirche‹ zum Ort der Erlösung. Den kirchlichen Gemeinschaften ist dabei höchstens eine unterstützende Rolle zugestanden. Und selbst diese könnte ihnen Trump nur dann zugestehen, wenn er seine eigene machtpolitische Stellung […] nicht […] gefährdet sieht“ (Stanley Hauerwas / Andreas G. Weiß S. 67 f.). Seine Skandale und Eskapaden spielt er vor traditionellen christlichen Gemeinden herunter. Im Mittelpunkt seiner Weltsicht steht nicht mehr Gott als ›der Herr der Geschichte‹, sondern der US-Präsident selbst. „Er sei jene Figur, die für die erlösende Kraft des Staates die Verantwortung trägt“. Theologisch gesprochen ist das Götzendienst (Andreas G. Weiß S. 68).

Man mag so oder anderes über Trumps persönliches Gottesbild denken. Letztlich ist es für die durch ihn bewirkte Veränderung des Selbstbildes von Amerika  und des neuen Bildes von der Rolle seines Präsidenten ohne Belang. Entscheidender ist, dass Trump die mit den Vorstellungen von ›God´s own Country‹ verbundenen Heilserwartungen für sich nutzen und an seine Grenzen bringen konnte: „Die quasi-religiöse Funktion, die das Amt des US-Präsidenten in der amerikanischen Zivilreligion innehat, wurde durch Donald Trump in ihren Grundfesten erschüttert […]. Trump hat bei allen Diskussionen um seine Person und Präsidentschaft eines fraglos geschafft: Er hat das von konservativ-christlichen Moralvorstellungen geprägte Ideal des US-Präsidenten auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt […]. Trump stellt die hohen Anforderungen, die viele Menschen für den mächtigsten Mann der Welt als unhinterfragt angesetzt haben, in seiner Person infrage. Er ist ein politischer Neueinsteiger […] und er hat von sich selbst ein verzerrtes Selbstbild, das er entgegen allen Widerständen nach außen verkörpern möchte“ (Andreas G. Weiß S.140 f., 144). Selbst- und Fremdwahrnehmung klaffen auseinander und Trump ist dabei, den amerikanischen Traum von einem Leben in Freiheit, Unabhängigkeit und Chancengleichheit in sein Gegenteil zu verkehren. „Was die USA in der Wahrnehmung vieler Menschen, die Wirtschaft und Kultur des Landes als Einwanderer über Jahrhunderte geprägt und mitaufgebaut haben, so ideal erscheinen ließ, droht, auf sich selbst zurückzufallen […]: Der vorgeblich selbstgemachte Millionär engt die Chancengleichheit der Menschen auf die Verwirklichung eben jenes Traumes stark ein, auf den er sich in seiner Lebensgeschichte bezieht. Er möchte die Traumwelten der USA, obwohl er sich selbst […] aus ihnen heraus versteht, auf einen Kreis auserkorener Menschen reduzieren“ (Andreas G. Weiß S. 146). 

Trump reizt dabei das auf seiner Wirtschaftskraft und militärischer Stärke aufruhende demokratische und rechtsstaatliche System Amerikas bis an seine Grenzen aus. „Dies eröffnet eine neue Dimension des spannungsreichen Wechselmoments zwischen Präsident und Staat“ und trägt dazu bei, die Verhältnisbestimmungen zwischen gesellschaftlichen und politischen Fronten in den USA weiterzuentwickeln, „ob er dies nun bewusst anstrebt oder nicht […]: Der ›American Dream‹ kommt von selbstgezimmerten Himmelsleitern zurück auf den Boden irdischer Tatsachen“ (Andreas G. Weiß S. 152 f.) 

ham, 7. August 2019

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