Kosmos-Verlag, Stuttgart, 2020, ISBN 978-3-440-17009-0, 224 Seiten, 7 schwarzweiße Zeichnungen, 6 Tabellen, Hardcover gebunden, Format 22,2 x 14,3 cm, € 18,00

Hunde fühlen sich wohl, wenn man ihnen einen Namen gibt, freundlich mit ihnen spricht und sie wie einen bevorzugten Gesprächspartner behandelt. Für den Verhaltensforscher Nicholas Epley von der Universität Chicago (vergleiche dazu https://www.chicagobooth.edu/faculty/directory/e/nicholas-epley) ist diese Vermenschlichung ein Zeichnen von Intelligenz: „Historisch betrachtet wurde dieses Zuweisen menschlicher Züge immer als Kinderei und Zeichen von Dummheit angesehen, tatsächlich ist diese Vermenschlichung aber die Folge von etwas, das uns Menschen auf einmalige Weise intelligent macht. Keine andere Spezies hat eine solche Neigung“, sagt Epley. Dass wir bereit seien, auch in nicht-menschlichen Lebewesen eine Seele und ein eigenes Gefühlsempfinden zu erkennen, sei die Spiegelung einer der größten Fähigkeiten unseres Gehirns. Dabei würden dieselben psychologischen Prozesse ablaufen wie beim Identifizieren eines menschlichen Verstandes. Wir würden allem, was wir besonders mögen, eine Seele geben (vergleiche dazu https://www.liebenswert-magazin.de/mit-haustieren-zu-sprechen-ist-ein-zeichen-von-intelligenz-1473.html).

Dass manche Menschen einen „grünen Daumen“ haben, sich Pflanzen bei ihnen wohlfühlen und ihnen jede Gartenarbeit gelingt, wird kaum jemand bestreiten. Wenn aber eine studierte Diplom-Biologin wie Bärbel Oftring Pflanzen Sinne wie das Sehen, Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen, Tasten und noch weitere Fähigkeiten zuschreibt und empfiehlt, mit Pflanzen zu reden, sie zu streicheln, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und sie freundlich und „wie Menschen“ zu behandeln, ist für viele die Grenze zur Esoterik erreicht oder schon überschritten. Aber genau das legt Oftring nahe, weil sie Pflanzen als gleichwertigen Teil aller Lebensgemeinschaften auf unserem Planeten ansieht. „Ohne Pflanzen gäbe es kein Leben auf der Erde, Pflanzen formen den Lebensraum für die Tiere und für uns Menschen, Pflanzen nähren alle. Auch in der Evolution waren die Pflanzen die Vorreiter, denn sie erzeugten den lebensnotwendigen Sauerstoff, … ohne den kein tierisches und menschliches Leben möglich wäre“ (Bärbel Oftring S. 7). 

Bärbel Oftring lädt in ihrem Gartenbuch dazu ein, sich in die Pflanzen hineinzudenken und gleichsam in sie hineinzukriechen, ihre Perspektive und ihre Art zu empfinden einzunehmen, mit ihren Blättern, Stängeln, Rinden und Wurzelspitzen zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu hören, zu fühlen und zu tasten und erklärt dann zugleich, wie die Sinne von Pflanzen aus der Sicht der heutigen Pflanzenforschung arbeiten. So besitzen Pflanzen augenscheinlich keine Ohren, dafür aber „mechanosensitive Ionenkanäle in ihren Zellen, die auf Berührung reagieren. Um den Reiz zu verstärken umgeben auf Zellebene oft röhrenförmige, bis zu 100 Nonometer lange Mikrotubuli diese Kanäle. Die Berührungen, die diese Kanäle registrieren, stammen nicht nur von direkten Kontakten, sondern auch von Schwingungen – die zum Beispiel über den Boden verbreitet werden … Erreicht ein mechanischer Reiz die Zellen, so verändert sich das elektrische Feld und öffnet die mechanosensitiven Kanäle, durch die nun Ionen, also positiv und negativ geladene Teilchen, in die eine oder andere Richtung fließen … Pflanzen hören also nicht mit speziellen Sinnesorganen, sondern diese Sinneswahrnehmung … findet in den Zellen und damit auf große Teile des Pflanzenkörpers verteilt statt. Zum Glück für die Pflanze: Nicht auszudenken, wenn mit dem Biss einer Raupe ins Blatt das ›Ohr‹ weg wäre …“ (Bärbel Oftring S. 56 f.). 

Pflanzenwurzeln können im Bereich von 220 Hertz besonders gut hören und ihr Wachstum an fließendem Wasser ausrichten. Die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) kann die Geräusche schmatzender Raupen von Windgeräuschen unterscheiden und Fotoakustiker haben herausgefunden, dass Pflanzen das Flügelschlagen von Bienen und Hummeln hören und Nachtkerzen (Oenothera drummondii) den Zuckergehalt im Nektar erhöhen, um bestäubende Insekten anzulocken. Bei Experimenten mit Musik stellten der indische Botaniker T. C. N. Singh und seine Mitarbeiterin Stella Ponniah in Madras fest, dass Zuckerrohr  und Mimosen nach der Beschallung mit bestimmte Mantras dickere Blätter bilden, länger wachsen und besser keimen. Die Frage, ob sich daraus, aus dem von Stefan Manusco von der Universität Florenz festgestellten positiven Einfluss von klassischer Musik auf die Größe und das Aroma von Weintrauben und  dem von anderen Forschern festgestellten positiven Einfluss von Musik auf Gurken, Chinakohl, Zwiebeln, Kohl, Kürbisse, Landnelken und Mädesüß folgern lässt, dass es sinnvoll sein könnte, auch den eigenen Garten zu beschallen, spielt Oftring klugerweise an ihre Leser zurück: „Daher eröffnet sich für Sie das große Feld von eigenen Versuchen, die Sie vielleicht ja auch schon unternommen haben. Vielleicht haben Sie sogar schon eigene Erfahrungen gemacht und beobachtet, dass Ihre Zimmerpflanzen besonders gern sanfte, mit Vogelstimmen unterlegte Yogamusik mögen oder eben Mozart, Vivaldi und Bach. Vielleicht mögen Ihre Pflanzen gern diese Musik, weil Sie sie mögen. Obwohl die Wirkung von Musikstücken (bisher) nicht als Ganzes nachgewiesen wurde – was kein Beweis dafür ist, dass sie es tatsächlich nicht tut – gibt es Belege dafür, dass es einzelne Frequenzen gibt, die Keimung und Wachstum von Pflanzen positiv beeinflussen. Dazu gehören der Bereich von 220 bis 250 Hertz (Bienensummen). Nimmt man auf der einen Seite das Summen von Hummeln und auf der anderen Seite die positiven Erfahrungen mit Frequenzen um 440 Hertz hinzu, so kommt man auf den wirkungsvollen Bereich niedriger Frequenzen zwischen 100 und 440 Hertz. Deutlich höhere Frequenzen hingegen hemmen Keimung und Wachstum von Pflanzen“ (Bärbel Oftring S, 73 f.)

Aus ihrer Zusammenfassung von Einsichten aus gärtnerischem Erfahrungswissen und der Pflanzenforschung ergeben sich Empfehlungen unter anderem für das Anlegen von Mischkulturen in Gärten, so etwa von Bohnen, Bohnenkraut, Dill, Gurken, Kartoffeln, Kohl, Salat und Sellerie und den Ausschluss von Erbsen, Fenchel, Lauch und Zwiebeln aus dieser Kultur, weil sich diese Pflanzen mit den Pflanzen der vorgeschlagenen Mischkultur nicht vertragen. Für Gärten erscheint das Anlegen von Schmetterlings- und Insekten- freundlicher Rabatten sinnvoll. Beim Studium der Körpersprache von Pflanzen können die Ursachen ihrer Krankheiten erkannt und die notwendige Therapie abgeleitet werden. Und schließlich legt es sich nahe, die Gartenarbeit an den jahreszeitlich anstehenden Aufgaben auszurichten. So empfiehlt es sich, immergrüne Pflanzen auch im Winter zu gießen, aber nur an frostfreien Tagen.

Im ausführlichen Register wird man unter dem Eintrag „Feige 200“ darauf verwiesen, dass Feigen bis zu 5° Celsius Frost vertragen. Unter dem Eintrag „Staunässe 195“ wird angeraten, Beetpflanzen sofort an eine andere Stelle mit gut durchlüftetem Boden umzupflanzen und Topfpflanzen in frische Erde umzutopfen. Beim Eintrag „Wildbienen 180, 186 ff.,  – Nisthilfen 188 f.“ landet man zuerst bei der innigen Beziehung, die Bienen mit Blütenpflanzen evolutionär eingegangen sind, dann bei der entscheidenden Rolle der Wildbienen beim Bestäuben und schließlich bei einer Anleitung zum Bau von Nisthilfen für Wildbienen.

ham, 14. Oktober 2020

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