Auszug aus der Einführung von Helmut A. Müller

Ruprecht von Kaufmann wurde 1974 in München geboren und hat in einer Zeit Kunstunterricht am
Gymnasium gehabt, als seine Lehrer der Überzeugung waren, dass die figurative Malerei und die Narration
tot sei. Dass er trotzdem bei der Figuration geblieben ist und in seiner Malerei Geschichten von den
Abgründen und Höhen der menschlichen Existenz erzählt, hat er seinen Professoren am Art Center College
of Design in Los Angeles zu verdanken. Dort hat man sich eine andere Auffassung erlaubt und die figurative
Malerei gepflegt und dort hat er in den Jahren 1995 – 1997 studiert. Zwischen 1997 und 2003 hat er in LA
und New York gelebt und gearbeitet; seit 2003 lebt er in Berlin. Zwischen 2012 und 2014 hatte er eine
Professur an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig inne.

Worum geht es in seiner Malerei? Kunst ist für ihn ein Angebot zum Gespräch über die Grundfragen der
menschlichen Existenz über die Grenzen der Zeiten und Welten hinweg. So gesehen können die Gouachen
der Ausstellung als sinnliche Stellungnahmen zu den Fragen „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Was
sollen wir tun? Was ist der Mensch?“ gelesen werden. Die traditionell in der Theologie, der Philosophie, in
den überkommenen Künsten und heute verstärkt auch in den Lebens- und Naturwissenschaften gegebenen
Antworten bilden so etwas wie einen Referenz- und Resonanzraum für von Kaufmanns malerischen
Angebote.

Wenn man die Struktur der Antworten auf die Grundfragen der menschlichen Existenz untersucht, fallen am
einen Pol dogmatische Antworten auf, Setzungen, die entweder auf Gott, die Natur oder die menschliche
Vernunft referieren, oder aber auf das Herkommen und auf die Kultur, in der man lebt. Das klassische
dogmatische Muster kann etwa im Fundamentalismus nachvollzogen werden, der Anfang des 20.
Jahrhunderts aufkommt. Im Fundamentalismus beruft man sich auf die fundamentals der Bibel und sagt,
dass etwas so ist, weil es in der Bibel steht und weil es Gott gesagt hat. Am anderen Pol stehen die
Relativsten. Bei ihnen unterstellt man, dass alles auch ganz anders sein könnte. Man könne nie sicher sein,
dass einmal gefundene Lösungen auch stimmen. Von Kaufmann legt nun seine Malerei im Kern so an, dass
sie Bildfindungen anbieten, die offen lassen, ob welche Antworten richtig sind. Seine Malereien
argumentieren dabei nichtsprachlich, bildlich, sinnlich und narrativ.

So zeigt er in seiner Arbeit „Der Unbändige“ eine menschliche Figur mit einer Kalaschnikow im Anschlag
und einem aufgeklappten Schädel. Aus dem Schädel entweicht einmal ein Gekritzel, eine Art abstrahierte
Schrift, die an das Deus dixit erinnern könnte. Zum anderen entschwebt eine menschenähnliche Figur dem
offenen Schädel; sie könnte für das visuelle Argumentieren stehen. Fünf runde Deckenleuchten leuchten die
Szene wie eine chirurgische Operation in einem Operationssaal aus. Die Argumente sind ausgetauscht. Das
Gespräch zwischen dem Betrachter und dem Bild kann beginnen. Für von Kaufmann kommt es dann am
besten in Gang, wenn in den Szenen menschenähnliche Figuren vorkommen und die sprachlich abstraktere
Ebene überschritten wird. Das Visuelle und die Narration scheint ihm offener und näher an den wesentlichen
Fragen: Auch sie lassen sich ja immer nur in Annäherung und nie endgültig beantworten; aber letztlich
bleiben sie offen.

Arbeiten wie „Das Alpenstück“ oder „Asleep“ zeigen den Künstler im Gespräch mit verstorbenen Kollegen
wie Caspar David Friedrich oder Picasso; andere wie „Wenn ich auf dem Sofa liege“, „On the roof“ oder
„Don“ erinnern an Tag- und Nachtträume, persönlich Erlebtes und an das kulturelle Langzeitgedächtnis.
Einzelne Motive wie das des Wals sind durch die mit ausgestellten Skizzenbücher gleichsam von den ersten
festgehaltenen Strichen an über die Findung der Form in den Skizzen bis zum Ausprobieren in variierenden
narrativen Szenen nachzuverfolgen. So gibt die Ausstellung Phantombild-Blaupause einen sonst selten
gewährten Einblick in die Ideenwerkstatt des Künstlers, in den Zwischenzustand zwischen Ideenfindung und
Ausführung und in den „Atlas“ des Künstlers, in sein Ideenreservoir für künftige Malereien. Dass sich die
fertigen Malereien nicht sklavisch an die in den Gouachen notierten Erstformulierungen möglicher Bildideen
halten, zeigt von Kaufmanns Arbeit an der Malerei „On the roof“, die in den Wochen der Ausstellung im
Entstehen war.

 

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