dtv Verlagsgesellschaft München, 2017, ISBN 978-3-423-28125-6. 174 Seiten, Hardcover gebunden mit
Schutzumschlag, Format 21,5 x 14 cm, € 20.00 (D) / € 20.60 (A) / CHF 25,90

Deutschland hat sich zwischen der Staatsgründung 1949 und der Wiedervereinigung 1990 auf vier
grundsätzliche strategische Ziele konzentriert: den Wiedereintritt in die Staatengemeinschaft, die
Wiedervereinigung, die Vermeidung von Krieg in Europa und den ökonomischen Wiederaufbau. „Gemessen
an diesen Zielen kann man Deutschland als eines der strategisch erfolgreichsten Länder der Nachkriegszeit
betrachten, denn es hat wie kaum ein anderes Land nach 1949 seine strategischen Ziele erreicht“ (Leon
Mangasarian / Jan Techau S. 29). Aber im letzten Jahrzehnt wurde der Ruf nach der Übernahme stärkerer
außenpolitischer Verantwortung lauter. Zwar hat sich Angela Merkel in der Zeit ihrer Kanzlerschaft den Ruf
einer starken Führungspersönlichkeit erarbeitet und der scheidende amerikanische Präsident Barack Obama
hat „ihr beim letzten Treffen vor der Weltöffentlichkeit quasi die Fackel überreicht und die Botschaft
überbracht […], sie müsse jetzt die Führerin des ›freien Westens‹ sein“ (Leon Mangasarian / Jan Techau S.
49). Aber in den Augen von Leon Mangasarian und Jan Techau hat Deutschland seine Hausaufgaben noch
nicht in dem Maße gemacht, wie es im Hinblick auf die aktuelle strategische Situation erforderlich wäre.
Das zeige sich unter anderem an der Flüchtlingspolitik, der Energiepolitik, dem Euro und der
Griechenlandkrise, an Russland und der Ukraine, den Verhandlungen über das Nuklearabkommen mit dem
Iran und an der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. „Es fehlt letztlich die konzeptionelle Stärke, der
Gestaltungswille und die strategische Ausrichtung, und dadurch bleibt Deutschland im Grunde ein
Getriebener und wird nicht ein Akteur, der sich selbst mit einem gewissen Gestaltungsanspruch an die Spitze
der Agenda setzt und dann führt“ (Leon Mangasarian / Jan Techau S. 78).

Leon Mangasarian und Jan Techau fordern deshalb von Deutschland die Übernahme von Servant
Leadership ein. „Kern des Konzepts der Servant Leadership ist die Idee vom Anführer, der sich zuerst als
Diener der Menschen und Institutionen sieht, die ihm anvertraut sind […]. Wie kann man sich die
Umsetzung dieses Konzepts für die Außenpolitik vorstellen?“ „Deutschland muss erheblich mehr in die
Strukturen investieren, die sein ›Geschäftsmodell‹ der offenen, liberalen Demokratie und der offenen Märkte
stützen. Das ist vor allem die Europäische Union als wichtigstes politisches Orientierungsinstrument für den
inneren Frieden Europas. Die EU braucht in Kernfragen wie der Stabilisierung des Euro, dem Umgang mit
Asylbewerbern, der Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und bei der Absicherung des Integrationsprojekts
durch bessere Beteiligung der Bürger an der Brüsseler Entscheidungsfindung frische Ideen für die Zukunft.
Eine reaktive Politik, wie Deutschland sie oft betrieben hat, wird nicht ausreichen. Es gilt aber auch für die
NATO, das wichtigste Instrument der externen Sicherheit Europas. Hier ist es von zentraler Bedeutung, um
den Erhalt der amerikanischen Sicherheitsgarantie zu kämpfen und eine an europäischen Interessen
ausgerichtete amerikanische Rolle in Europa nicht noch weiter schrumpfen zu lassen“ (Leon Mangasarian /
Jan Techau S. 17 ff.). Letztlich hilft deshalb die schon 2010 von Jan Techau beschriebene im
Nachkriegsdeutschland verankerte Strategievermeidungskultur nicht weiter, zu der die Behauptung,
Deutschland dürfe nach den nationalsozialistischen Grausamkeiten keine »normale« Außenpolitik betreiben,
ebenso gehört wie der in Deutschland gepflegte Pazifismus und Antimilitarismus und die Verklärung „von
Europa und der EU zu einer Art Ersatzreligion“, die an die Stelle des kontaminierten »nationalen« Denkens
tritt (vergleiche dazu Leon Mangasarian / Jan Techau S. 31 ff.).

Wenn die Geografie die Kraft ist, die das Schicksal bestimmt, muss Deutschland durch seine extrem
komplexe geopolitische Situation existentiell an einer stabilen politischen Ordnung Europas, an Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, der Einhaltung der Menschenrechte und offenen Märkten interessiert sein. Es kann diese
Ordnung nur mit und nicht gegen die anderen Europäer schaffen, aber es muss „mit Gestaltungsanspruch
vorangehen, und es muss sich gleichzeitig in den Dienst dieser Ordnung stellen und im Zweifelsfall mehr
hineinzugeben bereit sein, als es herausbekommt. Kurzum, Deutschlands anspruchsvolle geopolitische Lage
verdammt das Land zum Servant Leadership“ (Leon Mangasarian / Jan Techau S. 88).

Zu den anstehenden Hausaufgaben gehören für die Autoren langfristige Investitionen im Inneren wie eine
grundlegende Steuerreform, die Anpassung der Sozial- und Rentensysteme, massive Investitionen in Bildung
und in Zukunftstechnologien wie Gentechnik, Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, Biotechnologie, eine
Einwanderungspolitik, die für gut ausgebildete Ausländer einen Anreiz darstellt und eine vorausschauende
Energiepolitik. Mangasarian und Techau fordern weiter einen nationalen Sicherheitsrat, der die
außenpolitischen Expertisen der Fachministerien und Behörden bündelt, die Schaffung eines gesetzlich
verankerten Berichtswesens der Bundesregierung für sicherheitspolitische Fragen, eine Aufwertung und den
Ausbau der Bundesakademie für Sicherheitswesen zu einer Analyse- und Lehreinrichtung, die im Zentrum
der strategischen Aus- und Fortbildung der Bundesressorts steht und nicht am Rande (vergleiche dazu Leon
Mangasarian und Jan Techau Seite 124 ff.).

Beim Integrationsprozess auf europäischer Ebene sollte Deutschland auf ein Europa der verschiedenen
Geschwindigkeiten setzen, den Schulterschluss mit Frankreich suchen und militärisch als Garant der
Sicherheit seiner europäischen Nachbarn auftreten können. Im Osten Europas „dreht sich die Außenpolitik
im Kern um die Frage, ob die Friedensordnung, die nach 1991 für Europa gefunden wurde, erhalten werden
kann“ (Leon Mangasarian und Jan Techau S. 144).

„Darüber hinaus ist entscheidend, dass Deutschland auch für das Krisenmanagement außerhalb Europas und
des NATO-Bündnis-Gebiets im vollen Umfang zur Verfügung steht“ (Leon Mangasarian und Jan Techau S.
155). Wenn es „unter Präsident Trump zu einem Zusammenbruch der Pax Americana kommt, wird das
Ordnungsmodell Europa völlig neu gedacht werden müssen. Der politische Raum Europas wird neu sortiert,
und das wird Auswirkungen auch auf die Weltordnung haben. Deutschland spielt bei alledem eine zentrale
Rolle“ (Leon Mangasarian und Jan Techau S. 159).

ham, 27. August 2017

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