Jul 13

Lissa Rankin, Mind over Medicine

Von Helmut A. Müller | In Gesundheit

Warum Gedanken oft stärker sind als Medizin
Kösel-Verlag, München, ISBN 978-3-466-34597-7, 352 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Format 22 × 15,5 cm, € 22,99 (D)/ € 23,70 (A)/CHF 32,90

Ronald Grossarth – Maticek
Autonomietraining
Walter de Gruyter, Berlin, 2000/2013, ISBN 978-3-11-081457-6, 314 Seiten, gebunden, € 64,95

Ronald Grossarth – Maticek
Selbstregulation, Autonomie und Gesundheit
Walter de Gruyter, Berlin, 2003/2013,ISBN 978-3-11-090442-0, gebunden, € 39,95

Gesundheit und Krankheit gehören zu den großen Themen in der Politik, den Medien und der Bildung, das Gesundheitswesen und der mit ihm verbundene wissenschaftlich-medizinisch-industrielle Komplex zu den umsatzstärksten Branchen der Wirtschaft. Die Mitspieler im System, so die Wissenschaft, die Forschung, die Lehre, die pharmazeutische Industrie, die Krankenkassen und die Versicherungen, die Krankenhäuser, die Kliniken und ihre Träger und die Ärzte, Therapeuten und Pfleger sind aufeinander eingespielt ; die jeweiligen Felder und Einflussbereiche arrondiert. Man weiß, was man aneinander hat und auf was man sich verlassen kann. In der Regel wird nach dem so genannten Goldstandard geforscht, diagnostiziert und therapiert. Als Goldstandard bezeichnet man in der Medizin diagnostische, therapeutische und wissenschaftliche Verfahren, die im gegebenen Fall die bewährtesten und besten Lösungen darstellen. In der Regel liegen diesem Verfahren randomisierte kontrollierte doppelblinde Studien zu Grunde. Deshalb verwundert es wenig, dass es alternative Heilverfahren im Kontext der auf den Körper fokussierten evidenzbasierten Medizin schwer haben.

Wer wie der Heidelberger Medizinsoziologe Ronald Grossarth – Maticek in Forschungsvorhaben wie in seiner auf große Bevölkerungsschichten und lange Zeiträume angelegten Heidelberger prospektiven Studie auf multifaktorielle Zusammenhänge zwischen Körper, Seele und Geist setzt und im Ergebnis festgestellt, dass physische Faktoren wie die genetische Disposition, das Rauchen, die Ernährung und die Bewegung nur in der Summe wirken, aber psychische Faktoren wie Distress und schlechte Selbstregulation Krankheitsrisiken vervielfachen, muss damit leben, dass seine Kritiker replizierbare Einzelnachweise einfordern und ihm vorwerfen, dass er Prospektion und Retrospektion vertausche. Auch wenn in multi faktoriellen Forschungs – und Therapieansätzen replizierbare Einzelnachweise für die Wahrscheinlichkeit der eigenen Ergebnisse schwer zu erbringen sind, spricht vieles dafür, dass in der autonomen Selbstregulation, „d.h.in der bedürfnisgerechten und den Fähigkeiten entsprechenden Anregung der individuellen und sozialen Eigenaktivität“ ein großes Lösungspotenzial steckt (Ronald Grossarth – Maticek). Selbstregulation wird als die Fähigkeit definiert, durch Eigenaktivität Wohlbefinden, Lustgewinn, Sicherheit und Sinnerfüllung zu erreichen. Das von Grossarth – Maticek in Zusammenarbeit u.a. mit Helm Stierlin entwickelte Autonomietraining soll die autonome Problemlösung stärken und zu Wohlbefinden, Lustgewinn, Sicherheit und Sinnerfüllung führen.

Wer den New York Times – Bestseller von Lissa Rankin „Mind over Medicine“ von Grossath – Maticeks Autonomietraining her liest, stößt auf verwandte Forschungs- und Lösungsansätze. Auch Rankin geht davon aus, dass psychische Faktoren in der auf den Körper fokussierten Medizin unterschätzt werden. „Die meisten Gesundheitsmodelle sehen im Körper die Basis für alles andere im Leben. Ohne einen gesunden Körper, so ihr Ansatz, läge alles andere im Argen. Doch damit zäumen wir das Pferd vom Schweif her auf. Der Körper ist nicht die Basis der Gesundheit. Vielmehr ist er die physische Manifestation der Summe all dessen, was uns im Leben an Erfahrungen widerfährt. Steht unser Leben nicht mehr im Einklang…, gerät unser Geist unter Stress und dadurch leidet unser Körper. Die gute Nachricht ist: Wenn wir nicht bei optimaler Gesundheit sind, können wir Veränderungen vornehmen, die großen Einfluss auf unser körperliches Wohlbefinden haben“ (Lissa Rankin).Rankin ist als Ärztin spätestens in dem Moment an die Grenzen ihrer körperfokussierten Medizin gestoßen, als ihr eine langjährige Patienten ihr ärztliches Versagen in einem eindrücklichen Brief gespielt hat. Sie schrieb ihr, „dass sie sich vorgenommen hatte, sich mir in einer heiklen gesundheitlichen Angelegenheit anzuvertrauen, die sie mir bisher verschwiegen hatte. Tagelang hatte sie sich mithilfe ihres Mannes jedes einzelne Wort zurecht gelegt. Doch als der Augenblick da war und sie mir ihr Herz ausschütten wollte, muss ich offenbar an der Tür des Behandlungszimmers stehen geblieben sein, ohne die Hand von der Klinke zu nehmen. Die Haare standen mir kreuz und quer zu Berge und mein Kittel war komplett verschmiert. Sie vermutete, dass ich die ganze Nacht auf den Beinen gewesen war, um Babys auf die Welt zu bringen, und da hatte sie vermutlich recht. Sie ahnte, dass ich mit meinen Kräften am Ende war. Trotzdem hoffte sie, dass ich ihr die Hand auf den Arm legen und auf dem Hocker neben ihr Platz nehmen würde; dass ich ihr so viel Mitgefühl und Zuwendung entgegenbringen würde, dass sie sich mit Ihrem Anliegen bei mir gut aufgehoben fühlte.
Aber meine Augen seien leer gewesen, schrieb sie. Ich habe wie ein Roboter gewirkt – zu beschäftigt, um die Hand vom Türgriff zu nehmen. Als ich diesen Brief las, wurde es mir so eng um die Brust, als würde ich einen Schluckauf bekommen. Ich wusste tief im Inneren, dass ich nicht Ärztin geworden war, um diese Art von Medizin zu praktizieren, wie ich es jetzt tat. Ich hatte mich berufen gefühlt, Ärztin zu werden, wie sich andere dazu berufen fühlen, Priester zu werden. Ich war nicht angetreten, um routinemäßig Rezepte auszustellen und wie am Fließband im Akkord einen Patienten nach dem anderen zu untersuchen. Ich wollte Menschen heilen. Ich wollte meine Patienten im Herzen erreichen, ihnen die Hand halten, ihnen in ihrem Leid beistehen und ihnen nach Möglichkeit helfen, wieder gesund zu werden.; und falls keine Aussicht auf Heilung bestand, für sie da sein, um ihre Einsamkeit und Verzweiflung zu lindern.
Wenn mir das abhanden kam, war alles verloren. Jeder einzelne Tag, den ich in der Klinik verbrachte, nagte an meiner Integrität. Ich wusste, welche Art von Medizin ich aus meiner Seele heraus praktizieren wollte, doch sah ich keine Möglichkeit, je die Art von Arzt – Patienten-Bindung aufzubauen, von der ich träumte. Ich fühlte mich hilflos und zudem als Opfer des rein auf Effizienz ausgerichteten Medizinbetriebes, der Pharmaindustrie, von auf ärztliche Kunstfehler spezialisierten Anwälten, Politikern und von anderen Faktoren, die die Kluft zwischen mir und meinen Patienten ständig zu vergrößern drohten. Ich fühlte mich wie eine Hochstaplerin… Dann starb mein Hund, mein eigentlich kerngesunder jüngerer Bruder David erlitt als seltene Nebenwirkung einer Antibiotikabehandlung ein plötzliches akutes Leberversagen, und mein geliebter Vater erlag einem Gehirntumor – und das alles innerhalb von zwei Wochen. Das war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte… Ohne einen Plan B in der Hinterhand oder irgend ein Sicherheitsnetz kehrte ich der Medizin den Rücken… Ich verkaufte das Haus, löste meine private Rentenversicherung auf und zog mit meiner Familie aufs Land, um dort ein einfaches Leben zu führen. Das Ding mit dem Arztberuf schrieb ich als einen einzigen riesigen Felder ab und nahm mir vor, künftig mein Geld als Künstlerin und Schriftstellerin zu verdienen.
Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich aus den Augen verloren hatte wozu ich eigentlich hier auf dieser Erde bin… Um. 2009 fing ich an, in meinem Blog darüber zu schreiben, was ich vermisste, seit ich den Arztberuf an den Nagel gehängt hatte. Was ich an den Beruf liebte und was mich ursprünglich zu ihm hingezogen hatte. Ich schrieb darüber, dass Medizin für mich eine spirituelle Übung sei; dass man Medizin praktizieren solle, wie man Yoga oder Meditation praktiziert – in dem Bewusstsein, das Ganze nie wirklich perfekt beherrschen zu können. Ich schrieb, dass das Verhältnis zwischen Arzt und Patienten. … etwas Heiliges sei und wie ich mich danach sehnte, diesen ursprünglichen Zustand wiederherzustellen; ich schrieb, wie der Medizinbetrieb mich verletzt hatte und ich darum ungewollt andere verletzt hatte…“
Über ihren Blog erreichen sie unzählige Geschichten von Patienten aus der ganzen Welt, „die aus eigener Kraft unheilbare und tödliche Krankheiten überwunden hatten“. Sie geht diesen Berichten nach und kommt zum Ergebnis, dass wir uns in vielen Fällen unsere Diagnose selber stellen und durch radikale Selbstfürsorge heilen können . „Mind over Medicine“ist eine Chronik ihrer Forschungsreise. Im ersten Teil ihres Buches versucht Rankin den Nachweis zu führen, „dass der Geist im wirksamen Zusammenspiel von positiver innerer Einstellung und einer liebevollen Zuwendung durch die richtigen medizinischen Behandlung in der Lage ist, im Körper physiologische Veränderungen zu bewirken“. Im zweiten Teil zeigt sie auf, „wie der Geist auf der Basis unserer persönlichen Lebensentscheidungen in die Physiologie des Körpers eingreifen und diese verändern kann. Es geht hier unter anderem um die Beziehungen , die wir pflegen, unsere Sexualität, unseren beruflichen Alltag, den Umgang mit finanziellen Angelegenheiten, unser persönliches Maß an Kreativität, eine optimistische oder pessimistische Grundeinstellung, unsere Zufriedenheit im Leben und die Art, wie wir unsere Freizeit gestalten“. In diesem Teil will sie ihren Lesern ein Instrument an die Hand geben, „das sich universal einsetzen lässt und sich vielleicht sogar als lebensrettend erweisen könnte“(Lissa Rankin).
Im dritten Teil stellt sie ihren Ansatz von Gesundheit und sechs Schritte zu Selbstheilung vor. In ihrem Gesundheitsmodell ruht die körperliche Gesundheit wie ein Steinmännchen am Strand auf einem Geflecht von tragenden Faktoren wie den Beziehungen, der Sinnhaftigkeit in Beruf und Leben, der Kreativität, der Spiritualität, der Sexualität, dem Geld, der mentalen Gesundheit, der Umwelt und dem „inneren Leitstrahl“ auf, der als säkulare Variante der religiösen Bestimmung des Menschen verstanden werden könnte.Die genannten Faktoren sind für Rankin in eine Art„heilende Blase “ von Liebe, Dankbarkeit, Dienst an der Welt und Freude eingehüllt. Diese „heilende Blase schafft exakt das gesunde hormonelle Milieu in unserer >> inneren Petrischale<<, in dem unser Geist eben jene Verschiebung vollziehen kann, die unsere Zellen gesunden lässt… Die einzige Möglichkeit, wirklich heil und gesund zu werden, liegt in einer radikalen Selbstfürsorge, wie sie aus echter Liebe und echtem Mitgefühl uns selbst gegenüber entsteht. Um dies zu erreichen, müssen wir auf die weise, freundliche Stimme unseres inneren Leitstrahls hören. In dem Maße, wie wir lernen…, auf die weise Stimme unserer inneren Wahrheit zu vertrauen, entspannt sich unsere Körper, so dass er seine Selbstreparaturmechanismen in Gang setzen kann“(Lissa Rankin). Zur radikalen Selbstfürsorge gehört es, in einem ersten Schritt auf die eigenen Selbstheilungskräfte zu vertrauen. In einem zweiten Schritt ist es angezeigt, sich die richtige Unterstützung zu suchen. In einem dritten Schritt soll auf den eigenen Körper und die eigene Intuition gehört werden. In einem vierten Schritt soll anhand eines umfangreichen Fragebogens nach den tieferen Ursachen der eigenen Krankheit geforscht werden. Im fünften Schritt kann man sich dann sein eigenes Rezept selber ausstellen. Im sechsten Schritt kommt es darauf an, sich von allen Erwartungen bezüglich des möglichen Ausgangs zu lösen und umzusetzen, was man als für sich selber richtig erkannt hat. Wenn man nicht geheilt werden kann, so kann man , wenn man Ranking folgt,doch gesunden und seine Bestimmung finden.
ham, 9.7.2014

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