Publikation zur gleichnamigen Ausstellung vom 02.03. – 06.04.2013 bei Beck & Eggeling in Düsseldorf mit Texten von David Galloway und Antonia Lehmann-Tolkmitt
Beck & Eggeling Kunstverlag, Düsseldorf 2013, ISBN 3-930919-83-4, 72 S., Halbleinen gebunden, Format 21,5 x 28,5 cm, € 20,–

Nach Klausbernd Vollmer ist der Lotos wie die Rose ein Symbol des Lebens, der Befreiung, der hohen Entwicklung und der Wiedergeburt. Nach buddhistischer Vorstellung erwächst der Lotos aus dem Sumpf heraus zu schöner Blüte. Befreite pflegen auf Lotosblättern zu sitzen. Morio Nishimura erinnert darüber hinaus an den spirituellen Prozess der Seelenwanderung. „Es gibt ein Sprichwort im Chinesischen: >>Wir sehen uns auf dem Lotosblatt<<, was man zum Beispiel vor Gefahren zu einem Kameraden sagte oder auf dem Sterbebett. Mit diesem Ausspruch sieht man also ein Wiedersehen im Jenseits vor. Noch bildlicher gesprochen, erinnert mich das Lotosblatt an die Plazenta im Mutterleib. Diese ähnelt der Lotospflanze in Gestalt, aber viel entscheidender ist, dass sie Nahrung und Leben gibt. Dieses Bild mag ich sehr. Nein, ich erschaffe kein Abbild des naturalistischen Blattes, sondern ich verarbeite auf diese Weise für mich essentielle Gedanken der östlichen Religion“ (Morio Nishimura). Für den Meisterschüler von Günther Uecker ist das Lotosblatt ein zentrales Motiv seiner Arbeit und Ausgangspunkt seiner 1993 begonnenen eindrücklich stillen Serie „Süßer Regen“ geworden. Die Großplastiken der Serie werden nach detaillierten Vorzeichnungen und aufwändigst hergestellten Holzkonstruktionen in Bronze gegossen und im Guss zum ästhetischen Ausdruck des Lotus-Sutra: Die aus dem Alltag herausgehobene Gestalt verführt gleichsam dazu, der Lehre zu folgen und reiht sich in das Prinzip des Buddhas ein, der für jedes Lebewesen die jeweils verständlichste und verlockendste Form der Rede vom Nirwana findet. So werden zum Beispiel „spielende Kinder aus einem brennenden Haus mit dem Versprechen gelockt, dass draußen verschiedene schöne Fahrzeuge auf sie warten… Oder eine Gruppe, die durch einen dichten Wald gehen muss, genießt eine hervorgezauberte Stadt als Erholungsort, um dann zu erfahren, dass dies noch nicht das endgültige Nirwana sei“ (Michael Pye in RGG4 Band 5 L – M, Spalte 523, Tübingen 2002).
Die bei Beck & Eggeling erstmals gezeigte Serie der „Oblivion“-Bronzen entwickeln die „Süßer Regen“-Serie weiter und fokussieren das Erscheinungsbild der Bronzen auf die Kapseln und Samen des Lotus. „Das englische Wort >>Oblivion<< bedeutet eigentlich >>Vergessenheit<<“. Dies erinnert an Homers Erzählung aus der Odysee, nach der drei Gefährten von Odysseus an der Küste von Afrika an Land gehen und dort die ihnen als Willkommensgeschenk angebotenen Lotusfrüchte essen. „Darauf vergessen die Männer ihre Heimat, den Zweck ihrer Landung und wähnen sich unter dem berauschenden Einfluss der Lotusfrüchte im Paradies“ (Morio Nishimura). Aber sie müssen wie auch die Betrachter der Skulpturen und Zeichnungen von Nishimura lernen, dass der Vorschein noch nicht die Eweigkeit ist.
(ham)

Download:  Morio Nishimura, Oblivion – Zugang zum Paradies

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