Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer

Verlag Antje Kunstmann, München 2020, ISBN 978-3-95614-358-8, 336 Seiten, Hardcover gebunden mit Schutzumschlag, Format 21,4 x 14,5 cm, € 25,00 (D) / € 25,70 (A)

Für den studierten Geschichtswissenschaftler und investigativen Journalisten Oliver Bullough waren die „Revolution der Würde“ genannten Bürgerproteste des Jahres 2014 in der Ukraine noch mit der Erwartung verbunden, dass das Land künftig von einvernehmlich gefundenen Regeln und nicht vom Diktat korrupter Politiker beherrscht werden würde. Deshalb hat er mitgefeiert, als die Regierung eine von Betrugsvorwürfen überschattete Wahl wiederholte, Hunderttausende auf die Straßen gingen, tanzten und ihren Sieg feierten (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Euromaidan#/media/Datei:Euromaidan_Kyiv_1-12-13_by_Gnatoush_005.jpg).

Er hätte es nach seinen in den Jahren 1999 bis 2006 in St. Petersburg und in Moskau gemachten Erfahrungen eigentlich besser wissen müssen. Dies mag ihn dazu bewogen haben, nach der mysteriösen Flucht des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch am 22. Februar 2014 (vergleiche dazu etwa https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-die-flucht-des-wiktor-janukowitsch-a-955278.html) und der Besichtigung seiner an geheimen Rückzugsorten aufgehäuften kuriosen Luxusgüter (vergleiche dazu https://www.mdr.de/heute-im-osten/sturm-auf-die-janukowitsch-villa-korruption-100.html und https://www.mdr.de/heute-im-osten/sturm-auf-die-janukowitsch-villa-korruption-100.html) nach den verschlungenen Wegen verschwundener Steuergelder und versteckter Millionenvermögen in das Land virtueller Briefkastenfirmen zu suchen und sie aufzudecken. Er nennt dieses Land Moneyland. Sein vorweggenommenes Fazit: „Es gelang […] nicht, die Korruption zu beenden. Im Gegenteil. Es wurde alles nur noch schlimmer. Es ist so einfach, Geld zu stehlen und in Moneyland zu horten, wo es für immer sicher ist […]. Die Lektionen der Ukraine treffen auch auf Nigeria, Malaysia, Afghanistan und viele andere Länder zu. Sosehr sie sich in Sprache, Kultur, Religion und fast allem unterscheiden – aus Sicht des Geldes sind sie alle gleich. Egal wo das Geld gestohlen wird, es endet immer an denselben Orten: London, New York, Miami. Und egal wo es landet, es wird immer auf dieselbe Weise gewaschen, nämlich mithilfe von Briefkastenfirmen und anderen juristischen Konstruktionen in einer Handvoll Ländern“ (Oliver Bullough S. 32 f.). 

Dabei geht es anders als noch bei der Globalisierung nicht mehr darum, das Kapital dahin zu verschieben, wo es die größeren Erträge erzielt, sondern dahin, wo es den größten Schutz genießt. „Gegen Moneyland  vorzugehen ist allerdings nicht einfach. Man kann nicht mit Soldaten einrücken, denn es ist auf keiner Landkarte zu finden. Man kann keine Sanktionen dagegen verhängen und keine Diplomaten zu Verhandlungen schicken. Moneyland hat keine Zöllner, die Pässe abstempeln, keine Flagge, vor der man den Hut zieht, und keinen Außenminister, mit dem man telefonieren könnte. Es hat keine Armee, um sich zu verteidigen, aber es braucht sie auch nicht. Es existiert überall da, wo jemand sein Geld dem Zugriff seines Staats entzieht und die Banker und Anwälte bezahlen kann, die ihm dabei helfen“ (Oliver Bullough S. 33). 

Bullough  zeichnet in seinem Eingangskapitel die Gesetzeslücken und die Gesetzgebung nach, die Moneyland überhaupt erst möglich gemacht haben und belegt dann an eindrücklichen Beispielen, wer alles an seiner Existenz verdient. Für das systematische Verstecken von Geld und Vermögen sind die von dem aus Deutschland stammenden Londoner Banker Siegmund Warburg (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Siegmund_G._Warburg) am 1. Juli 1963 emittierten Eurobonds (vergleiche dazu https://www.fuw.ch/article/eurobonds-haben-die-welt-verandert-2/) wegweisend; sie halfen dabei, Steuern und staatliche Kontrollen zu umgehen und machten es auch möglich, heißes Geld unkontrolliert über staatliche Grenzen fließen zu lassen. Da bei einer Ausgabe der Anleihen in Großbritannien eine Steuer von vier Prozent fällig gewesen wäre, wurden die Papiere formell im Amsterdamer Flughafen Schiphol ausgegeben. Obwohl die Anleihen weder in Großbritannien ausgegeben noch ausgezahlt wurden, wurden sie an der Londoner Börse zugelassen. Als Kreditnehmer firmierte die staatliche italienische  Autobahngesellschaft Autostrada, obwohl es sich in Wirklichkeit um die staatliche Beteiligungsgesellschaft IRI handelte (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Beteiligungsgesellschaft). „IRI hätte als Kreditnehmer eine Quellensteuer abführen müssen, Autostrada dagegen nicht“ (Oliver Bullough S. 52). Damit war eine Anleihe geschaffen, die gute Zinsen abwarf, auf die keine Steuern fällig wurden und die sich überall zu Geld machen ließ. „Das war Offshore in höchster Vollendung […]. Es handelte sich um sogenannte Inhaberschuldverschreibungen, das heißt, es war nicht auf einen Namen ausgestellt. Wer das Papier hatte, dem gehörte es, und der Eigentümer wurde nirgends namentlich registriert […]. Nun konnte man diese fantastischen Anleihen kaufen und verdiente Geld, ohne Steuern zahlen zu müssen“ (Oliver Bullough a. a. O.).  Ein eigenes Kapitel ist der Frage gewidmet, wie Moneyland den Reichtum seiner Einwohner schützt und wie es verhindert, dass die wahren Eigentümer ihr gestohlenes Vermögen zurückbekommen.

Nach den Kapiteln über die Zerschlagung des Steuerparadieses Schweiz und den Ausbau des Steuerparadieses USA kann man sich nur noch wundern und den Kopf schütteln: Nach den Erkenntnissen amerikanischer Ermittler aus dem Jahr 2008 sind dem amerikanischen Finanzamt durch in der Schweiz versteckte amerikanische Gelder und Vermögenswerte im Jahr rund 100 Milliarden Dollar entgangen. Umgekehrt sind bis Ende 2003 in den USA mindestens 100 Milliarden Dollar in sogenannte Dynastietrusts geflossen, die in Nevada 365 Jahre und in Wyoming 1000 Jahre von der Nachlass-, Schenkungs- und bei ordnungsgemäßer Einrichtung auch von der Übertragungssteuer befreit sind (vergleiche dazu etwa https://www.mdr.de/heute-im-osten/sturm-auf-die-janukowitsch-villa-korruption-100.html). „Besonders stolz ist Nevada auf seine Regelungen zum Vermögensschutz, die unter anderem besagen, dass zwei Jahre nach der Gründung eines Trusts Gläubiger keinen Zugriff mehr haben […]. Und weil das Gesetz von Nevada so großzügig ist, können Sie selbst Nutznießer Ihres Trusts sein, das heißt, Sie geben Ihr Vermögen weg, damit es Ihnen nicht weggenommen werden kann, aber gleichzeitig haben sie den vollen Nutzen davon, so, als hätten Sie es nie weggegeben“ (Oliver Bullough S. 291).

Dazu kommt, dass Anlageberater wie der in Neuseeland geborene Rechtsananwalt Peter Cotorceanu (vergleiche dazu etwa https://www.google.de/search?ei=gd-RXpCjN8eg1fAPtYqL4AY&q=peter+cotorceanu&oq=Peter+Cotorceanu&gs_lcp=CgZwc3ktYWIQARgAMgQIABATMggIABAWEB4QEz

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LmDBRGgAcAB4AIABrAGIAfECkgEDMS4ymAEAoAEBoAECqgEHZ3dzLXdperABBg&sclient=psy-ab) die unterschiedlichen rechtlichen  Fassungen des 2010 in den USA in Kraft getretenen Foreign Account Tax Act (FATCA) und des internationalen Abkommens über den automatischen Austausch von steuerlichen Informationen über Finanzkonten (CRS) für steuersparende Konstruktionen einsetzt, die die Vermögen seiner Kunden quasi unsichtbar machen: FATCA verpflichtet in den USA steuerpflichtige Naturalpersonen und Unternehmen mit Sitz außerhalb der USA zur Mitteilung steuererheblicher Daten, insbesondere von Auslandskonten gegenüber den US-Steuerbehörden (vergleiche dazu https://de.wikipedia.org/wiki/FATCA). Cotorceanu konstruiert seine Trusts aber so, dass sie nirgends greifbar sind. „Im Grunde läuft es darauf hinaus, wo ein Trust seinen Steuerwohnsitz hat. Da ein Trust anders als ein Unternehmen nicht angemeldet werden muss, sondern lediglich eine Vereinbarung mit Anwälten darstellt, ist der rechtliche Sitz nicht ganz einfach zu bestimmen, und die Regelungen unterscheiden sich von einem Land zum anderen. Die Anwälte tun ihr Bestes, diese Unstimmigkeiten auszunutzen und ihre Trusts so zu gestalten, dass sie durch alle Ritzen fallen. ›Das erreicht man, indem man einem Ausländer eine von vielen möglichen Befugnissen überträgt. Man kann ihm zum Beispiel das Recht geben, den Treuhänder zu ersetzen. Schon hat man einen ausländischen Trust‹, so Cotorceanu. ›Es spielt überhaupt keine Rolle, ob sich der Treuhänder in den Vereinigten Staaten befindet, dass er dem Gesetz von Nevada untersteht oder dass sich das Konto in den Vereinigten Staaten befindet. Sobald sich eine Befugnis in der Hand eines Ausländers befindet, handelt es sich aus steuerlicher Sicht um einen ausländischen Trust.‹ Und in diesem Fall dürfen die Vereinigten Staaten keine Informationen an ausländische Behörden weitergeben, selbst wenn sie das wollten.

Aber jetzt kommt das eigentlich Interessante. Wenn der Treuhänder US-Bürger ist […], dann handelt es sich aus der Sicht der CRS um eine amerikanische Gesellschaft, weshalb es gar nicht unter den Informationsaustausch fällt. Das heißt, ein reicher chinesischer und russischer Unternehmer kann sein Geld hier anlegen, ohne befürchten zu müssen, dass die Behörden zu Hause davon erfahren. Nach ausländischem Gesetz ist der Trust in amerikanischem und nach amerikanischem Gesetz in ausländischem Besitz – er existiert also nirgends“ (Oliver Bullough S. 296 f.).

ham, 11. April 2020

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