Publikation zum Projekt ›Deutschlandfahrt‹ aus Anlass der Wiedereröffnung des Hauses am Waldsee, Berlin.
Mit einem Essay von Katja Bloomberg und Texten von Peter Riek

Haus am Waldsee – Internationale Kunst in Berlin / Verlag der Buchhandlung Walther König, 2018, ISBN.
3-96098-441, 44 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Broschur, Rückstichheftung, Format 21 x 14,8 cm

Wer zwischen 1940 und 1960 auf dem Dorf oder in einer Kleinstadt geboren wurde, konnte in seiner
Kindheit und Jugend noch unbesorgt auf der Straße spielen und sich dort auch mit Kreide verewigen. Beim
›Himmel und Hölle‹ – Spiel wurden elf Felder mit Kreide auf die damals noch geteerten Straßen gezeichnet;
auf dem ersten Feld stand das Wort ›Erde‹, auf den weiteren die Zahlen eins bis acht, und auf den letzten
›Hölle‹ und Himmel‹. Wer den Spielregeln entsprechend von der ›Erde‹ in den ›Himmel‹ und wieder auf die
›Erde zurückgekommen ist, ohne in der ›Hölle‹ zu landen, hatte sein Ziel erreicht (vergleiche dazu http://
www.labbe.de/zzzebra/index.asp?themaid=266).

Ob der 1960 in Schluchtern geborene und heute in Heilbronn lebende Peter Riek in seiner Kindheit ›Himmel
und Hölle‹ gespielt hat, ist nicht bekannt. Aber er hat sehr wahrscheinlich wie andere Kinder auch mit Kreide
auf der Straße gezeichnet. Nach dem Studium der Kunst, der Kunsterziehung und der Geografie ist er beim
Zeichnen geblieben. Die Zeichnung ist für ihn „das älteste Kommunikationsmittel, das wir kennen, sie ist
elementar“ (Peter Riek im Interview der Woche in der Heilbronner Stimme vom 23. April 2018: http://
www.labbe.de/zzzebra/index.asp?themaid=266). Seine ersten Straßenzeichnungen als Künstler sind ab 1988
entstanden. 2001 waren es auf dem Weg von Heilbronn über Eppingen, Mühlacker, Pforzheim, Baden-Baden
und Straßburg nach Colmar zu Mathias Grünewald genau 120 vergängliche Kreidezeichnungen auf Asphalt;
2016 sind auf dem Weg von Lindau zu Andrea Mantegnas Camera Picta im Palazzo Duale in Mantua weitere
Straßenzeichnungen entstanden. 2001 und auch noch 2016 war Riek auf Schusters Rappen unterwegs
(vergleiche dazu https://www.google.de/search?
q=peter+riek+heilbronn&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ved=2ahUKEwik4eDk78vdAhXHD8AK
HcC3B2QQsAR6BAgAEAE&biw=1679&bih=890). Auf dem Weg nach Berlin hat er das Fahrrad
genommen. Seine Straßenzeichnungen hat er wie immer fotografiert und, was selten geworden ist, auf
atmosphärisch dichten schwarzweißen Fotoabzügen dokumentiert. Später hat er sie isoliert und auf gestrickte
Wolldecken übertragen.

Der zum Deutschlandfahrt-Projekt entstandene stimmige Katalog lebt vom gelungenen Zusammenspiel der
fotografierten Straßenzeichnungen, den sie begleitenden Beobachtungen, die in kurzen Texten festgehalten
sind, und den sechzehn im Haus am Waldsee vorgestellten Strickdecken. Am Anfang der Reise ist Riek in
Dahlenfeld einem Fuchs begegnet: „Aug in Aug mit einem Fuchs, / der nach einem Moment des Verharren /
und friedlichen Einvernehmens / schnell ins hohe Gras entschwindet“. In Simmringen mag er an die eigene
Kindheit gedacht haben, wenn er notiert: „Auf der Straße / Kreidezeichnungen von Kindern, / die ich aus
Respekt vorsichtig umfahre“. In Ilmenau kennt kaum jemand den Weg zum übernächsten Dorf „und so habe
ich mir das Fragen abgewöhnt / und rede lieber über das Wetter“. Die Leipziger Altstadt erscheint ihm als
„kaltes / kapitalistisches Kabinettstückchen. Trost allein bietet überraschend / eine Heimsuchung ganz
anderer Art, / gemalt von Rogier von der Weiden / im Museum der Bildenden Künste“. In Potsdam fragt er
eine junge Frau nach „dem Museum Barberini, doch sie kennt es nicht. / Ich danke freundlich, biege um die
nächste Ecke / und stehe vor der Tür“. In Berlin ziehen sich dunkle „Wolken zusammen und / lösen sich
genau so schnell wieder auf. / Ich bin da“ (Peter Riek. S. 4, 8, 16, 28, 38).

ham, 20. September 2018

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