Meng Zhang im Gespräche mit Helmut A. Müller

Helmut A. Müller: In Deinen Zeichnungen spielen Landschaften eine bestimmte Rolle. Was bedeuten Landschaften für Dich und Deine Kunst?

Meng Zhang: Ich glaube, ich habe keinen besonderen Fokus auf Naturlandschaften. In meiner Arbeit geht es mehr um Erinnerungslandschaften, wenn ich das so sagen kann. Mehr darüber, wie mein Gedächtnis entsteht und was für eine Landschaft in meinem Gedächtnis bleibt. Ich beobachte die natürliche Landschaft und suche in ihr Inspiration und Energie, aber ich möchte sie ohne sie vor mir zeichnen. Deshalb denke ich, dass das Gedächtnis für mich wichtiger ist. Wenn ich eine Landschaft zeichnen möchte, möchte ich Zeit in ihr verbringen, sie sehen, fühlen, in Erinnerung behalten und zeichnen. Ich bin jedoch von der Natur berührt; das zeigen Werke wie die von Schloss Plüschow. Sie spiegeln die dort anzutreffende Natur wider.

ham: Es gibt Arbeiten, in denen Menschen in Menschen wie in Landschaften Geborgenheit finden. Was bedeutet für Dich Geborgenheit?

Meng Zhang: Es könnte eine Person oder ein Ort oder ein Tier sein oder etwas, wo man letztendlich bleiben kann. Du brauchst dann nichts anderes mehr und nichts mehr darüber hinaus. Du fühlst dich sehr gut und erfüllt. Du bist geliebt. Du bist mit dir eins. Ich denke, ich suche all dies in meinem Leben und in meiner Kunst. Ich denke, Geborgenheit ist der Ort, an dem du durch alle Angst hindurchgehen kannst, vielleicht sogar durch den Tod.

ham: In manchen Arbeiten tauchen Tiere auf. Gehören sie wie in traditionellen Landschaften zum Sujet Landschaft oder haben sie eine eigene Bedeutung?

Meng Zhang: Einige Tiere kommen in meine Zeichnungen, weil ich sie geträumt habe; manchmal übernehme ich Mischwesen aus Mythologien und manchmal springen sie höchst lebendig in meinem Leben herum.

ham: Es gibt Arbeiten, in denen man sich verlieren kann. Was bedeutet für Dich Verlorenheit?

Meng Zhang: Ich denke, das Gefühl etwas zu verlieren und unsicher zu werden, kommt aus meiner Lebenserfahrung. Im Ausland mit seinen anderen kulturellen Hintergründen zu leben verwirrt mich immer: Ich fühle mich dann unsicher und verloren. Auf der anderen Seite bringt es auch Freiheit. Ich denke mehr über meine Wurzeln nach, meine Identität, meine Familie, meine Liebe und frage mich, wer ich bin. Solche grundlegenden Fragen stellen sich eher, wenn ich unsicher bin. Bis Du mich gefragt hast, habe ich Geborgenheit und Verlorenheit nicht zusammengebracht, wenn ich an mich selbst dachte. Geborgenheit und Verlorenheit scheinen sich auszuschließen, aber manchmal können sie sich ineinander verwandeln.

ham: Welche Rolle spielt für Deine Arbeiten die Fotografie?

Meng Zhang: Ich denke, dass sich Zeichnungen und Gemälde sich sehr stark von Fotografien unterscheiden. Ich mache keine konzeptionellen Zeichnungen. Das Zeichnen ist für mich ein intimer Prozess. Man ist sehr, sehr tief bei sich selbst, seinen Erinnerungen, Träumen, Vorstellungen und Gefühlen. Zeichnen ist ein langer Prozess des Intimwerdens, wie ein Gespräch mit sich selbst oder mit jemand anderem, wie ein Durchgang durch Versuch und Irrtum und eine schrittweise Annäherung, 

Ich brauche Fotos nur als Hilfe, wenn ich bestimmte Details benötige, sonst verwende ich beim Zeichnen keine Fotos. Ich betrachte Fotografie als eine andere Art von Kunst.

ham: Du arbeitest aufwendig mit Wachs, Grafit oder Holzkohle auf Papier. Woher kommt diese Technik und welche Bedeutung hat sie für die Inhalte, die Du transportierst?

Meng Zhang: Da ich immer meine Erinnerungen und Träume zeichne, verwende ich zuerst transparentes Papier, weil ich denke, dass die Zeichnungen dadurch irgendwie verschwommen werden, so wie man sich an etwas erinnert, das nicht so klar ist. Erinnerung ist für mich wie Licht in der Dunkelheit. Manchmal verblasst sie. Deshalb halte ich mich vornehmlich an Schwarzweiß und das transparente Papier oder an mit Wachs getränkten Papiere, die wie aufgehellt erscheinen.

Ich benutze in den letzten Jahren meistens Holzkohle. Ich fühle eine Ähnlichkeit zwischen ihr, der chinesischen Tuschemalerei und der chinesischen Kalligrafie. Grafit ist sensibler, feiner, präziser und ich mag es auch. Mit Bleistift zu zeichnen ist wie die Arbeit mit einem Mikroskop, das jeden Nerv in dir vergrößern kann.

Wachsexperimente und Enkaustik in der Zeichnung und in der Malerei sind der Schwerpunkt meiner Arbeit. Ich finde, Wachs lässt an Erinnerungen, Träume und Haut denken. Gleichzeitig gibt es den Arbeiten eine neue Körperlichkeit und verwandelt sie in durchsichtige Einheiten. Im Alten Ägypten wurden Mumienporträts in Wachsmaltechnik angefertigt und in der Orthodoxie Ikonen anfänglich in Enkaustik geschrieben. Unter anderem deshalb wird Enkaustik bis heute mit Religion und Transzendenz in Verbindung gebracht.

ham: Warum bist Du Künstlerin geworden und was willst Du mit Deiner Kunst erreichen?

Meng Zhang: Ich habe angefangen, Kunst zu machen, weil ich das Gefühl hatte, etwas ausdrücken zu wollen. Ich denke, ich mache meine Kunst zuerst für mich selbst. Ich möchte alle Erinnerungen, Fragen, Zweifel, Verwirrungen und Gefühle, die ich in meinem Leben habe, an einen Ort bringen. Für mich ist die Kunst dieser Ort. Kunst zu machen kann mich und die anderen entlasten.

ham: Ich danke Dir für dieses Gespräch , liebe Meng.

 

 

Kommentare sind geschlossen.

COPYRIGHT © 2023 Helmut A. Müller