Katalog zur gleichnamigen Ausstellung vom 12. August bis 10. September 2017 im Kunstverein Familie
Montez, Frankfurt am Main, herausgegeben von Marten Schech und Christiane Schürkmann mit Texten von
Christian Berger, Kerstin Flasche, Georgios Paroglou, Anne Röhl, Christiane Schürkmann, Friederike Segler
und Anna-Lena Treese

Edition Imorde, Emsdetten, 2017, ISBN 978-3-942810-37-1, 104 Seiten, zahlreiche Farbabbildungen,
Broschur, Format 24 x 17 cm, € 29,00

Marcel Duchamp hat 1917 mit seinem mit R. Mutt signierten und zum Kunstwerk erklärten Urinal Fountain
Aufmerksamkeit erregt, Martin Kippenberger 1990 mit seinem gekreuzigten Frosch Zuerst die Füße, Damien
Hirst 1991 mit seinem in Formaldehyd eingelegten und Ende 2004 für gut neun Millionen Euro verkauften
toten Tigerhai und Jonathan Meese mit seinen 2013 in Kassel und 2014 in Mannheim höchstrichterlich zu
Kunstwerken erklärten weil von der Kunstfreiheit gedeckten Hitlergruß-Performances.

Vor diesem Hintergrund fragen die KuratorInnen der Ausstellung im Kunstverein Familie Montez, ob
gegenwärtige Kunst überhaupt noch Aufruhr erzeugen muss oder „ob diese Zuschreibung nicht vielmehr zu
einer impliziten Gewöhnung im Sinne einer Erwartungshaltung geworden ist“. „Geht es um trouble oder um
Entertainment? Ist die Suche nach dem nächsten Skandal […] noch adäquat in einer Zeit, in der die urbane
Kreativgesellschaft das Neue und das Andere zu ihrem Paradigma erklärt hat? Sind junge Künstler✶innen
überhaupt noch auf der Suche nach trouble?“ (Marten Schech / Christiane Schürkmann S. 11). Nach ihrem
Eindruck sind sie es heute eher nicht und statt dessen auf der Suche nach einer angemessenen Antwort auf
die Frage, wofür sie sich in der Fülle des heute Möglichen entscheiden sollen, um die ihnen angemessene
Position finden.

Kunst hat demnach abseits des Skandals und der Irritation „das Potenzial zum subtilen und subversiven
trouble maker, ohne trouble pauschal zu fassen, ohne ihn auf Skandale zu reduzieren und ohne eindeutige
Antworten liefern zu müssen. Vielmehr wird die Frage als solche in den Vordergrund gerückt. Die Offenheit
und Neugier zeitgenössischer Kunst trifft sich mit der Offenheit und Aufforderung eines dynamischen
Begriffs, der vieles umfassen kann und der jeweils ›Kind seiner Zeit‹ ist […]. Erkennbar werden
verschiedene Dimensionen und Relationen von trouble, die nicht mehr universellen, totalen und
programmatischen Ansprüchen folgen, sondern situiert in Auseinandersetzung mit einzelnen Werken und
künstlerischen Position hervortreten. Aus dieser Sicht ist die Frage eine Frage zeitgenössischer
Kunst“ (Marten Schech / Christiane Schürkmann S. 12).

Unter den sieben Künstler✶innen der Ausstellung loten die skulpturalen, installativen und (video-)grafischen
Arbeiten Melanie Börners „die grenzenlosen Möglichkeiten subkultureller Kommunikations- und
Visualisierungsnetzwerke, wie Fashion- und Subculture-Blogs, Instagram, YouTube oder Online-
Verkaufsplattformen aus. Für das Projekt expand-abletshirtedition (2016) eröffnet MB sogar einen eigenen
Pop-Up-Store im Netz und beleuchtet nicht nur die Überlagerung zwischen Kunst und Design, sondern auch
die Schnittstellen zwischen visuellem Kunstkonsum und monetärem“ (Kerstin Flasche S. 18; vergleiche dazu
auch https://www.kunstknall.de/pages/melanieboerner).

Alexander Endrullat führt in seinen Malereien und Fotografien als Karambolagen wahrnehmbare Eingriffe
herbei, die einen großen Teil des Motivs ausmachen. „Ein Gegenstand, eine Skizze oder Textfragment
brechen in eine Oberfläche bzw. Malschicht ein und determinieren den Bildraum. Das Situative und
Flüchtige erscheint in den Fotografien zunächst eindeutig und ist trotzdem gebrochen. Eine Banane fliegt in
den Moment, jemand duckt sich, ein Blitz durchschneidet die Szene, ein Schlagschatten durchtrennt das
Bild“ (Anna-Lena Treese S. 30; vergleiche dazu auch http://www.alexanderendrullat.de/index.php?
navi=photo3).

Ulrich Klose schließlich geht der Frage nach, wie Computer, das digitale Erbe und Videospiele unseren
Alltag überlagern und unsere Wahrnehmung beeinflussen. „In Residues (2011) nimmt Klose den Betrachter
auf eine Reise durch verlassene Orte, Städte und Landschaften aus der einst beliebten und inzwischen fast
vergessenen Online-3-D-Infrastruktur ›Second Life‹, bei der angemeldete User imaginäre Welten erschaffen
und durch Avatare mit weiteren Nutzen im Cyberspace auf verschiedene Arten interagieren können. Diese
Parallelwelten fungieren als seriöse Plattformen, auf denen Menschen mit ihrem zweiten Ich geheimen
Wünschen nachkommen, vermeintlich echte Gefühle erleben oder lediglich ihre Freizeit dort verbringen.
Klose hingegen entfernt hieraus alle Qualitäten zwischenmenschlicher Aktion und hinterlässt Gegenden, die
wie Kulissen wirken“ (Georgios Paroglou S. 42 f.; vergleiche dazu http://www.ullrich-klose.de/
Residues.html und http://www.ullrich-klose.de/index2.html).

ham, 12. September 2017

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